Anzeige
Neuer Konflikt

Kosovo: Warum kommt das Balkanland nicht zur Ruhe?

  • Aktualisiert: 02.06.2023
  • 13:32 Uhr
  • Anne Funk

Immer wieder kommt es im Kosovo zu Konflikten. Am Pfingstwochenende kam es zu Ausschreitungen, zahlreiche serbische Zivilisten und NATO-Soldaten wurden verletzt. Doch warum eskaliert die Lage in dem Balkanland erneut?

Anzeige

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei gewaltsamen Konflikten im Kosovo wurden Dutzende NATO-Soldaten und serbische Zivilisten verletzt.

  • 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig, das wurde von Serbien bis heute nicht anerkannt.

  • Auslöser für die Konflikte waren Kommunalwahlen, bei denen die albanische Minderheit gewonnen hatte.

Es ist der schlimmste gewaltsame Konflikt der vergangenen Jahre im Kosovo: 80 NATO-Soldaten und serbische Zivilisten wurden am Montag (29. Mai) bei Ausschreitungen verletzt. 

2008 erklärte sich das kleine Balkanland für unabhängig - sein Nachbarland Serbien erkannte das nicht an - bis heute nicht. Im Kosovo leben heute fast zwei Millionen Albaner:innen, im eher ländlich geprägten Norden des Landes, an der Grenze zu Serbien, rund 50.000 Serb:innen - die mit dem Staat Kosovo nichts zu tun haben wollen.

In den mehrheitlich von Serb:innen bewohnten Gemeinden werden die kosovarischen Autoritäten größtenteils abgelehnt. Die Kommunen sollen eigentlich seit Jahren einen autonomen Status bekommen, bis heute ist das aber nicht vollständig umgesetzt, so das ZDF. Immer wieder kommt es daher zu Konflikten.

Ein Soldat der NATO-geführten Friedenstruppe (KFOR) hält in Leposavic Wache.
Ein Soldat der NATO-geführten Friedenstruppe (KFOR) hält in Leposavic Wache. © REUTERS

Warum eskaliert der Konflikt aktuell?

Im April fanden in vier überwiegend von Serb:innen bewohnten Gemeinden Kommunalwahlen statt. Zuvor waren die serbischen Amtsträger zurückgetreten. Die Regierung in Pristina, der Hauptstadt der Republik Kosovo, hatte durchsetzen wollen, dass die Serben im Nord-Kosovo kosovarische Kfz-Kennzeichen verwenden und keine serbischen.

Die Wahl wurde allerdings von der serbischen Bevölkerung auf Geheiß Belgrads weitgehend boykottiert: Die Wahlbeteiligung lag bei 3,5 Prozent. In der Folge gewann die albanische Minderheit, die nun die Bürgermeister stellen soll. Das wollen die Serben nicht akzeptieren.

Am Freitag (26. Mai) kam es dann zu Zusammenstößen, als die kosovarische Sonderpolizei im Ort Zvecan den neu gewählten Bürgermeister ins Amt eskortierte. Sie wurde von militanten Serben angegriffen, es gab bereits Verletzte. 

Anzeige
Anzeige

Warum waren NATO-Soldaten involviert?

Die NATO-geführte Friedenstruppe KFOR, die mit UN-Mandat vor Ort für Sicherheit sorgen soll, rückte zum Schutz der Gemeindeämter in Zvecan und zwei weiteren Orten ein.

Doch auch am Montag kam es wieder zu Protesten der Serben gegen die Bürgermeister, der Abzug der Sonderpolizei wurde gefordert. Die Demonstrant:innen verhinderten zunächst, dass die Fahrzeuge wegfahren konnten, dann eskalierte die Situation. Die KFOR-Einheit setzte Tränengas ein, um die Proteste aufzulösen, Serben warfen Steine, Flaschen und Brandsätze auf die Soldaten. Auch griffen sie diese mit Schlagstöcken an. 30 Soldaten und 50 Serben wurden verletzt.

Wer genau sind die militanten Serben?

Bei den Protestierenden handelt es sich um Schläger aus dem Milieu der Fußball-Hooligans und Kleinkriminelle, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Sie werden offenbar von lokalen serbischen Politiker:innen und windigen Geschäftsleuten, die im Interesse Belgrads handeln, eingespannt.

Anzeige
Anzeige

Warum gibt es Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien?

Heute wird der Kosovo überwiegend von Albaner:innen bewohnt, früher gehörte das Gebiet zu Serbien. Nach massiven Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Sicherheitskräfte und einem bewaffneten Aufstand der Kosovo-Albaner reagierte die NATO 1999 mit Bombardierungen im damaligen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro).

Die UN-Administration Unmik verwaltete von 1999 bis 2008 das Gebiet, 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig. Bis heute hat Serbien diesen Schritt nicht anerkannt und beharrt auf der Rückgabe seiner ehemaligen Provinz. An der Grenze zu Serbien, im Norden des Kosovo, befindet sich ein kompaktes serbisches Siedlungsgebiet.

Warum wurde der Konflikt bisher noch nicht gelöst?

Sowohl die EU als auch die USA investierten seit 1999 viel diplomatische Energie. Von den meisten westlichen Ländern wurde der Kosovo 2008 sofort anerkannt, darunter Deutschland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Bis heute gibt es aber noch immer fünf europäische Länder, die das nicht getan haben: Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern. Ein Problem für eine gemeinsame Diplomatie der Europäischen Union. Von Expert:innen wird eine fehlende Strategie des Westens für die gesamte Region, nicht nur für den Kosovo, bemängelt.

Obendrein tendiert Serbien unter Präsident Aleksandar Vucic Richtung Russland, welches mit Wladimir Putin schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs regelmäßig versuchte, dem Westen geopolitisch zu schaden. Auf die aktuellen Ausschreitungen reagierte Moskau mit Solidaritätsbekundungen für Vucic und sein Land. "Wir unterstützen zweifellos Serbien und die Serben. Wir meinen, dass die legitimen Rechte und Interessen der Kosovo-Serben beachtet und gewahrt werden müssen", so Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch (31. Mai).

Anzeige
Anzeige

Wie hat der Westen aktuell reagiert?

"Gewalttaten gegen Bürger, gegen Medien, gegen Strafverfolgungsbehörden und die KFOR-Truppen sind absolut inakzeptabel", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach den Ausschreitungen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, weitere 700 Soldaten zu entsenden. Auch das Auswärtige Amt in Berlin reagierte und forderte "die sofortige Einstellung jeglicher Gewalt und aller Handlungen, die zu weiteren Spannungen führen". US-Außenminister Antony Blinken rief alle Beteiligten zur Mäßigung auf.

Die Reaktionen sind aber wohl nicht viel mehr als Schadensbegrenzung, die Signale sind zu unterschiedlich. So schießen sich Borrell und die Vereinigten Staaten auf Albin Kurti, den Ministerpräsidenten des Kosovo, ein. Der hatte durch den Polizeieinsatz die Unruhen ausgelöst, trägt aber keine Schuld an den von Belgrad verursachten Blockaden. Grundsätzlich teilt Kurti die europäischen Werte und geht gegen Korruption vor. Trotzdem hat US-Botschafter Jeff Hovenier bekannt gegeben, die Kosovaren zu "bestrafen" und untersagte ihnen die Teilnahme am US-Militärmanöver Defender Europe 2023.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic regiert dagegen autoritär und will die Sanktionen der EU gegen Russland nicht mittragen. Auch ein EU-vermitteltes Rahmenabkommen mit dem Kosovo vom Februar hat er nie unterzeichnet - trotzdem kommt er mit "Ermahnungen" davon.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderten am Donnerstag (1. Juni), dass in den vier Gemeinden schnellstmöglich Neuwahlen angesetzt werden müssten. Auch Serbien müsse sich daran beteiligen.

Wie groß ist die Gefahr, dass sich der Konflikt noch weiter ausbreitet?

Zwar hat Vucic die serbischen Streitkräfte in höchste Bereitschaft versetzt. Allerdings erwarten Beobachter nicht, dass er eine offene Konfrontation mit der NATO im Kosovo wagen wird. Die Spannung im Süden diene dem serbischen Präsidenten zugleich, um die Macht im eigenen Land stabil zu halten.

Auch bleibt abzuwarten, ob Kurti bei seiner konsequenten Linie bleiben wird. Kompliziert wird es außerdem, wenn sich Kurti und Vucic am Verhandlungstisch begegnen müssen - denn sie können sich kaum in die Augen sehen. Im Kosovokrieg Ende der 1990er-Jahre wurde Kurti von der serbischen Polizei verhaftet und saß im Gefängnis. Vucic war damals Informationsminister unter dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, dem zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden.

Am Donnerstag hat auch Kurti Neuwahlen ins Gespräch gebracht. "Der Abzug gewalttätiger Mobs vor den Gemeindeämtern (...) ist der Weg zur Deeskalation, bis es zu neuen Wahlen kommt", schrieb er auf Twitter.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
Mehr News und Videos
COP29 in Aserbaidschan: Einigung zu Milliardenhilfen sorgt für Enttäuschung

COP29 in Aserbaidschan: Einigung zu Milliardenhilfen sorgt für Enttäuschung

  • Video
  • 01:35 Min
  • Ab 12