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Deutsche Ermittlungen wurden offenbar verraten

Nord-Stream-Akten: So entkam der Saboteur

  • Veröffentlicht: 20.11.2024
  • 17:47 Uhr
  • Michael Reimers
27. September 2022, Dänemark, Bornholm: Luftblasen zeugen vom Nord-Stream-2-Gasleck.
27. September 2022, Dänemark, Bornholm: Luftblasen zeugen vom Nord-Stream-2-Gasleck. © Dänisches Verteidigungskommando / dpa

Deutschland hatte bereits einen europäischen Haftbefehl gegen den vermutlichen Attentäter erwirkt, der für die Sprengungen der Nord-Stream-Pipelines 2022 in der Ostsee verantwortlich gewesen sein soll. Polnische Behörden verschleppten den Fall jedoch - der Saboteur konnte fliehen.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Sprengungen der Erdgas-Pipelines Nord Stream im September 2022, durch die zuvor russisches Erdgas nach Deutschland gelangt war, gelten als eine der größten Sabotage-Fälle in der europäischen Nachkriegsgeschichte.

  • Der Kreml beschuldigte die USA der Sabotage, auch die Ukraine geriet unter Verdacht.

  • Deutsche Ermittler:innen waren dem Täter offenbar schon ganz dicht auf der Spur, wie neue Recherchen von "Spiegel" und ZDF zeigen.

Es sollte ein Monat vergehen - vom 5. Juni bis zum 6. Juli 2024 - zwischen dem Ausstellen des europäischen Haftbefehls gegen den vermutlichen Saboteur der Nord-Stream-Pipelines und seiner Flucht. Es soll sich um einen Ukrainer handeln, der mit seiner Familie in einem Vorort von Warschau gewohnt habe. Anstatt den Beschuldigten sofort festzunehmen, hätten die polnischen Behörden jedoch Zeit verstreichen lassen mit bürokratischen Formalien, meldet zdf.de am Mittwoch (20. November). Dem Bericht zufolge ist der Tatverdächtige Wolodymyr S. offenbar gewarnt worden und habe mithilfe der ukrainischen Botschaft aus Polen in seine Heimat fliehen können. Wiederum einen weiteren Monat später erst habe der zuständige Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe von dem vermutlichen Verrat der deutschen Ermittlungsergebnisse erfahren.

Im Video: Schwedische Ermittlungen eingestellt - löst Deutschland das Nord-Stream-Rätsel?

In dem Schreiben der Hauptkommandantur des polnischen Grenzschutzes an die Staatsanwälte der Abteilung Terrorismus hieß es demnach, Wolodymyr S. sei am 6. Juli 2024 in einem Fahrzeug über den polnischen Grenzübergang Korczowa Richtung Ukraine gefahren worden, mit einem Pkw der Marke BMW und einem Kennzeichen der ukrainischen Botschaft in Warschau. "Spiegel" und "ZDF frontal" konnten dem Bericht zufolge vertrauliche Ermittlungsakten einsehen, die beweisen sollen, wie dicht die deutschen Ermittler:innen dem mutmaßlichen Attentäter auf den Fersen waren - mithilfe von Urlaubsfotos, einem Blitzer und der Analyse gefälschter Papiere.

Die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 waren am 26. September 2022 durch mehrere Sprengungen beschädigt und unterbrochen worden. Die Explosionen wurden in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert. Wenig später wurden vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen entdeckt. Durch Nord Stream 1 gelangte zuvor russisches Erdgas nach Deutschland. Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der daraus resultierenden politischen Differenzen noch nicht in Betrieb.

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Die Ermittlungen von Bundesanwaltschaft, Bundespolizei und Bundeskriminalamt (BKA) konzentrierten sich dem Bericht zufolge aufgrund von Hinweisen ausländischer Nachrichtendienste schon relativ schnell nach der Sabotage der Nord Stream auf eine Segeljacht. An Bord der "Andromeda" wurden dann tatsächlich Sprengstoffspuren von HMX gefunden, die identisch waren mit denen am Anschlagsort auf dem Grund der Ostsee.

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Zufälliges Urlaubsfoto bringt Ermittler auf die Spur

Wie es weiter in dem Bericht heißt, hätten die Ermittlungen ergeben, dass die Jacht in Wiek Station gemacht hat. Daraufhin sei ein Zeuge gefunden worden, der am 23. September 2022 auf seinen Urlaubsfotos neben der "Andromeda" zufällig einen roten Transporter mit geöffneter Heckklappe gefilmt habe, von dem sogar das Kennzeichen zu erkennen gewesen sei. Mithilfe polnischer Behörden sei anschließend der Fahrer des Transporters ausfindig gemacht worden, ein an der Sabotage unbeteiligter ukrainischer Staatsbürger. Dieser habe den Ermittler:innen erzählt, dass er vom Hafen Wiek die Tauchausrüstung abgeholt und außerdem einen Mann nach Warschau gefahren habe, einen der in den Pipeline-Anschlag involvierten Taucher.

Der Fahrer identifiziert dem Bericht nach den Chauffeur Wolodymyr S., der Lehrer an einer Tauchschule in Kiew und ehemaliger Soldat der ukrainischen Streitkräfte gewesen sein soll. Der habe ihm erzählt, er sei für eine nicht näher erläuterte "Sache" auf der Ostsee engagiert worden und hatte im Gepäck einen Anker mit einem Gewicht, mit dem man eine Stelle im Wasser markieren könne. Als die "Andromeda" schon einmal im Hafen Wiek auf Rügen lag, wurde dieser Tauchlehrer Wolodymyr S. mit überhöhter Geschwindigkeit in einem Citroën Spacetourer mit ukrainischem Kennzeichen in der Ortsdurchfahrt Lietzow - rund 30 Kilometer vor Ankunft in Wiek - zusammen mit einem Beifahrer geblitzt. Der Gesichtsabgleich über soziale Netzwerke ergab, dass es sich ziemlich sicher um ein und dieselbe Person handelt.

Im Video: Haftbefehl für Nord-Stream-Sabotage - Verdächtiger geflohen

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Profitaucher aus Kiew ebenfalls in Anschlag involviert

Über den Fakt, dass die "Andromeda" über einen gefälschten rumänischen Pass mit dem Namen Stefan Marcu angemietet wurde, führen die Fahndungen laut zde.de zu einem zweiten Tatverdächtigen, einem Freund von Wolodymyr S. - ein Profitaucher, der geschult sei im Umgang mit Geräten und Gasen, die Tauchgänge bis zu 300 Meter Tiefe zulassen.

Den Ermittlungsakten zufolge meldete dieser Profitaucher im Juni 2022 kurz vor dem Tatzeitraum eine Kreditkarte an. Der entscheidende Punkt: Auch er nutzte den Tarnnamen Stefan Marcu. Mit der Kreditkarte eröffnete er ein Amazon-Konto. Die hinterlegte E-Mail-Adresse führt zu seiner Tauchschule in Kiew. Eine Auskunft von Facebook ergab, dass der verdächtige Profitaucher eine rumänische Handynummer nutzt. Nachdem die Ermittler:innen das Handy des Fahrers auswerten, der vom Hafen in Wiek die Taucherausrüstung abholte, waren sie sich sicher, den Saboteuren auf die Spur gekommen zu sein: Am 24. September seien dem Fahrer über die rumänische Nummer Nachrichten mit Anweisungen geschickt worden, wo er die Ausrüstung der "Andromeda" in Kiew abladen soll.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Nachrichtenagentur Reuters

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