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Kinderschutz in Gefahr

Düstere Statistik: Kindeswohlgefährdung in Deutschland auf Rekordniveau

  • Veröffentlicht: 02.08.2023
  • 17:07 Uhr
  • Emre Bölükbasi

Die Kindeswohlgefährdung in Deutschland schnellt in die Höhe. Fast 62.300 Kinder wurden 2022 entweder vernachlässigt oder erfuhren körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt. Experten schlagen Alarm.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Mit fast 62.300 Kindern waren 2022 so viele Kinder und Jugendliche von Kindeswohlgefährdung betroffen wie noch nie zuvor.

  • In den meisten Fällen sind die Betroffenen laut Statistischem Bundesamt jünger als 14 Jahre.

  • Kinderschutzhäuser geraten aufgrund der Entwicklung immer stärker unter Druck.

Die deutschen Jugendämter haben 2022 einen neuen Höchststand bei Kindeswohlgefährdungen in Deutschland registriert. Fast 62.300 Kinder wurden im vergangenen Jahr vernachlässigt oder erfuhren psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch (2. August) mitteilte. "Das waren rund 2 300 Fälle oder 4 % mehr als im Jahr zuvor", hieß es in der Pressemitteilung der Behörde weiter.

Die Zahl der sogenannten latenten Fälle, bei denen eine gegenwärtig vorliegende Gefahr nicht eindeutig bestätigt werden konnte, aber ein ernster Verdacht blieb, ging 2022 zwar um zwei Prozent auf 28.900 zurück. Gleichzeitig stiegen aber die akuten Fälle, bei denen eindeutig eine Kindeswohlgefährdung vorlag, um zehn Prozent auf 33.400 Fälle.

Viele Betroffene jünger als acht Jahre

Vier von fünf Betroffenen waren demnach jünger als 14 Jahre. Knapp 47 Prozent der gefährdeten Kinder sei sogar jünger als acht Jahre gewesen. "Knapp die Hälfte der betroffenen Jungen und Mädchen (47 %) nahm zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung bereits eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch, stand also schon in Kontakt zum Hilfesystem", informierte das Statistische Bundesamt. 

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Laut den Jugendämtern war der häufigste Grund für die Kindeswohlgefährdung die Vernachlässigung von Kindern oder Jugendlichen (59 Prozent). In mehr als einem Drittel der Fälle (35 Prozent) habe es Hinweise auf psychische Misshandlungen gegeben. Indizien für körperliche Misshandlung lagen in 27 Prozent der Fälle vor, während sexuelle Gewalt (fünf Prozent) die seltenste Ursache für Kindeswohlgefährdung war. In 22 Prozent der ermittelten Gefährdungsfälle wurden gleich mehrere Formen von Misshandlung oder Vernachlässigung festgestellt.

Zahl der Hinweismeldungen gestiegen

Die Jugendämter hatten im Vorfeld insgesamt 203.700 Hinweismeldungen untersucht, bei denen der Verdacht auf eine mögliche Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen im Raum stand. Auch diese Zahl stellt dem Statistischen Bundesamt zufolge ein Plus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr dar.

In den meisten Fällen machten Polizei oder Justizbehörden (30 Prozent) auf mögliche Verdachtsfälle aufmerksam. 23 Prozent der Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung kamen etwa von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonymen Bürgern. Dahinter folgten Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe oder der Erziehungshilfe mit 13 Prozent. Jeweils etwa ein Zehntel der Hinweise auf die Gefährdungssituation gaben Schulen bzw. die Familien selbst.

Wir können den Kindern nicht gerecht werden, wenn sie nicht Wochen, sondern Monate auf eine Therapie warten müssen

Dragana Seifert, Rechtsmedizinerin

Die steigende Zahl von Kindeswohlgefährdungen macht Kinderschutzhäusern immer stärker zu schaffen. Diese seien aktuell "maximal ausgelastet", teilte Oberärztin und Rechtsmedizinerin Dragana Seifert vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Dort werden gemeinsam mit dem Childhood-Haus Hamburg an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr Untersuchungen von Kindern vorgenommen.

Aufgrund unterschiedlichen Alters und Geschlechts würden zudem Geschwisterkinder auf verschiedene Einrichtungen verteilt, beklagte die Expertin. Für die Kinder sei das vielfach eine traumatische Erfahrung. "Man muss sich darüber klar sein - Kinder, die gemeinsam Gewalt erlebt haben, hängen sehr aneinander - mehr noch als Geschwister, die in einer heilen Familie aufwachsen", erklärte sie.

Der Zeitdruck gefährde die Arbeit der Kinderschutzhäuser. "Wir entdecken viel, aber wir können den Kindern nicht gerecht werden, wenn sie nicht Wochen, sondern Monate auf eine Therapie warten müssen", stellt Seifert fest. "Ein Kind, das noch mitten in der Entwicklung steckt, hat diese Zeit nicht."

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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